Im Zusammenhang mit Brustkrebs wurde Mitte der 1990er-Jahre erstmals eine genetische Veranlagung als mögliche Ursache für die Krebsentstehung beobachtet. Daher tragen die Gene, die in diesem Zusammenhang untersucht wurden, den Namen BReast-CAncer-Gene, kurz BRCA. Jeder Mensch trägt in den Zellen seines Körpers jeweils zwei Kopien des BRCA1- und des BRCA2-Gens. Diese Gene beinhalten den „Bauplan“ von Eiweißen (Proteinen), die an der Reparatur von DNA-Schäden beteiligt sind.
Tagtäglich kommt es in jeder Zelle zu Tausenden Schäden in der DNA, die durch verschiedene Reparaturmechanismen behoben werden können. In gesunden Zellen wird so einer Anhäufung von Mutationen und damit letztlich einer möglichen Krebsentstehung vorgebeugt. Hierbei spielen die BRCA-Gene beziehungsweise BRCA-Eiweiße eine zentrale Rolle: Sie werden dazu benötigt, sogenannte Doppelstrangbrüche zu reparieren. Der Mechanismus, der dabei zum Einsatz kommt, heißt homologe Rekombinationsreparatur (HRR).
Ist die Funktion der BRCA-Gene eingeschränkt beziehungsweise geht die Funktion des Eiweißes verloren, können Doppelstrangbrüche nicht mehr effizient repariert werden. Dann kann möglicherweise eine Zelle entarten und Krebs entstehen.
Deshalb haben Menschen mit bestimmten krankheitsverursachenden Veränderungen der BRCA-Gene (sogenannte pathogene Mutationen) ein deutlich erhöhtes Risiko, bestimmte Tumorarten zu entwickeln.
Zu ihnen gehören zum Beispiel:
Brustkrebs (Mammakarzinom)
Eierstockkrebs (Ovarialkarzinom)
Bauchspeicheldrüsenkrebs (Pankreaskarzinom)
Prostatakrebs (Prostatakarzinom
Wenn durch die pathogenen (krankheitsverursachenden) BRCA-Mutationen die Reparatur von Doppelstrangbrüchen nicht mehr fehlerfrei durchgeführt werden kann, dann spricht man auch von einer homologen Rekombinationsdefizienz, kurz HRD. Neben BRCA1 und BRCA2 gibt es jedoch noch weitere Gene, die im Fall einer Mutation eine HRD verursachen können.
Lässt sich bei PatientInnen mit den oben genannten Erkrankungen eine Mutation der BRCA-Gene beziehungsweise eine HRD (resultiert in genomischer Instabilität) nachweisen, bieten sich mitunter spezielle therapeutische Optionen an.
Tests anhand einer Blutprobe beziehungsweise am Gewebe können darüber Auskunft geben, ob eine BRCA-Mutation beziehungsweise eine HRD vorliegt und eine zielgerichtete Behandlung infrage kommt.
Unter bestimmten Voraussetzungen kann ein BRCA-Test zudem auch für ausgewählte Familienangehörige der PatientInnen sinnvoll sein. Denn eine BRCA-Mutation kann vererbt werden – und damit auch ein erhöhtes Risiko, an Krebs zu erkranken.
BRCA-Mutationen können ererbt sein (Keimbahnmutation) oder im Laufe des Lebens in einzelnen Körperzellen entstehen (somatische Mutation).
• Keimbahnmutationen:
– Lebewesen entstehen durch Zellteilung, beginnend mit der Teilung der befruchteten Eizelle. Falls zu diesem Zeitpunkt bereits Genveränderungen vorliegen, spricht man von Keimbahnmutationen.
– Während der Entwicklung des menschlichen Organismus werden Keimbahnmutationen von einer Zelle an die nächste weitergegeben, sodass sie schließlich in allen Körperzellen zu finden sind.
– Diese Mutationen können im Blut und auch im Tumorgewebe nachgewiesen werden und von den Eltern an die Kinder weitervererbt werden.
• Somatische Mutationen:
– Demgegenüber gibt es Mutationen, die erst zufällig im Lauf des Lebens in einzelnen Zellen entstehen. Man nennt sie somatische Mutationen.
– Diese befinden sich nicht in allen Körperzellen, sondern nur in der betreffenden Zelle und allen aus dieser Ursprungszelle hervorgegangenen Zellen, wie zum Beispiel im Tumorgewebe. Im Tumorgewebe lassen sich Keimbahnmutationen und somatische Mutationen nachweisen, ohne dass zwischen ihnen unterschieden werden kann. Ein Gewebetest identifiziert folglich immer mehr Mutationen als ein Bluttest.
– Somatische Mutationen werden nicht an die Kinder weitervererbt.
Gut zu wissen: Jeder Mensch besitzt von den meisten seiner Chromosomen, und somit auch von den darauf vorhandenen Genen, zwei Kopien – eine stammt vom Vater, die andere von der Mutter. Eine Keimbahnmutation der BRCA-Gene liegt in der Regel lediglich auf einem der beiden Chromosomen vor. Ebenso entwickelt sich eine somatische Mutation im Laufe des Lebens zunächst nur auf einer Kopie. Erst wenn auch die zweite Kopie auf dem anderen Chromosom beschädigt wird, kann dies eine Krebsentwicklung zur Folge haben (Two-Hit-Hypothese).
Dieses Phänomen erklärt, warum nicht alle Menschen mit einer BRCA-Mutation zwangsläufig einen Tumor entwickeln. Allerdings: Das Risiko, an bestimmten Krebsarten zu erkranken, ist für Personen mit einer Keimbahnmutation generell größer als für Personen, die ohne Keimbahnmutation geboren werden. Denn Betroffene mit einer Keimbahnmutation tragen diesen Risikofaktor von Anfang an in sich und es bedarf bei ihnen nur noch einer zusätzlichen somatischen Mutation auf der bisher unbeschädigten Kopie des BRCA-Gens.
Verdeutlichen lässt sich dieser Zusammenhang durch das Bild eines Fahrrads mit zwei Bremsen am Vorderrad und Hinterrad:
Lässt sich mithilfe eines Gentests eine BRCA-Mutation feststellen, ist damit auch eine homologe Rekombinationsdefizienz (HRD) nachgewiesen – also der Ausfall der homologen Rekombinationsreparatur (HRR), die für die Reparatur von Doppelstrangbrüchen zuständig ist.
Doch ebenso, wie es zum Beispiel für einen Autounfall mehrere Ursachen geben kann, kommen auch für die HRD unterschiedliche Auslöser in Betracht. Zu ihnen zählen neben einer BRCA-Mutation beispielsweise Veränderungen in anderen Genen, die ebenfalls an der DNA-Reparatur beteiligt sind.
Eine weitere Möglichkeit, eine homologe Rekombinationsdefizienz (HRD) festzustellen, ist der Nachweis von charakteristischen Genomschäden, die bei einem Ausfall der homologen Rekombinationsreparatur auftreten können. Man sucht bei einer solchen Testung nach typischen Schäden und Mustern in der DNA – sogenannten genomischen Narben – sowie Veränderungen in der Struktur der Chromosomen. Summe und Menge dieser Auffälligkeiten werden in Form eines sogenannten HRD-Scores erfasst.
Es geht bei dieser Art des Tests somit nicht nur um die Suche nach einer möglichen Ursache einer HRD – wie beispielsweise einer BRCA-Mutation. Zusätzlich wird gezielt nach den Auswirkungen (genomische Narben) der homologen Rekombinationsdefizienz gesucht, um diese somit nachweisen zu können. Die genomischen Narben lassen sich im Vergleich zu BRCA-Mutationen allerdings nur anhand eines Gewebetests nachweisen.
Auch hier lässt sich zur Verdeutlichung das Bild eines Autounfalls nutzen: Ein beschädigter Wagen zählt zu den sichtbaren Auswirkungen des Unfalls – beziehungsweise lässt der Zustand des Autos den Schluss zu, dass ein Unfall stattgefunden hat. Auch eine HRD kann sich durch nachweisbare Folgen zu erkennen geben: In diesem Fall sind es die zuvor angesprochenen genomischen Narben.
Diese Auffälligkeiten im Erbgut der Zelle führen zu einer genomischen Instabilität. Sie zählt zu den zehn grundlegenden Eigenschaften einer Krebserkrankung.
Weitere Informationen zu den Erkrankungen Brustkrebs, Eierstockkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs und Prostatakrebs finden Sie hier.
Quellen:
Bundesärztekammer (Arbeitsgemeinschaft der deutschen Ärztekammern) und Kassenärztliche Bundesvereinigung. Aerzteblatt.de. [https://www.aerzteblatt.de/archiv/214965/Familiaerer-Brust-und-Eierstockkrebs-Zielgerichtete-und-abgestufte-Praeventionsstrategien], letzter Zugriff: 09.04.2021.
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. [https://www.mpg.de/forschung/menschliche-chromosomensaetze-getrennt-entschluesselt], letzter Zugriff 10.11.2020.
mamazone – Frauen und Forschung gegen Brustkrebs e. V. [https://www.mamazone.de/brustkrebswissen/frueherkennung-diagnose/erblicher-brustkrebs/fragen-antworten/], letzter Zugriff am 19.11.2020.
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